15/11/2022

Lienz investiert in sein Zentrum und seine Bürger

Lehrfahrt für Orts- und Stadtentwicklung.

Die Osttiroler Landeshauptstadt Lienz hat seit 35 Jahren eine Abteilung für Standortmarketing und investiert damit bewusst in die Entwicklung der Innenstadt sowie eine strategische Entwicklung des Wirtschaftsstandorts. Ende Oktober war eine hds-Delegation (im Bild) im Rahmen der Lehrfahrt der Akademie für Orts- und Stadtentwicklung zu Besuch, um innovative Projekte und neue Ansätze zur Belebung der heimischen Gemeinden bei einem Stadtrundgang unter Augenschein zu nehmen. Empfangen wurde die Gruppe in der Wirtschaftskammer Tirol von Obmann AD, Michael Aichner, der eine kurze Einführung zur wirtschaftlichen Lage Osttirol gab: „Das hiesige Bruttoinlandsprodukt liegt rund 24 Prozent unter dem Gesamttiroler Schnitt. Ein weiteres Problem, mit dem wir zu kämpfen haben, ist der Bevölkerungsschwund – unser Städtchen mit 13.000 Einwohnern hat in den vergangenen 10 Jahren über 1100 Bürger verloren.“ Auch die Arbeitslosigkeit sei überdurchschnittlich hoch. „Im Sommer ist der Tourismus ein Zugpferd der Wirtschaft, im Winter jedoch kommt er fast zum Erliegen“, fügt Aichner hinzu. Deshalb arbeite die Wirtschaftskammer umso mehr daran, die „Sonnenstadt Lienz“ und Osttirol zu einem guten Ort zum Leben zu machen: wichtige Themen dabei sind die Stärkung der Nahversorgung, Kinderbetreuung und energetische Autonomie.

Aufwerten und neu ausrichten

Dann übernahm der erfahrene Stadtmarketer Oskar Januschke das Wort. Er führt seit 35 Jahren die Abteilung Standortentwicklung, Wirtschaft und Marketing im Lienzer Rathaus und lehrt zudem an mehreren Hochschulen. „Wir arbeiten eng mit den umliegenden 10 Gemeinden im Lienzer Talboden zusammen und betreuen regionale sowie grenzübergreifende Projekte. Diese spannen von Aufwertungskonzepten in der Altstadt über die Neuausrichtung des Bahnhofareals bis zum Ausbau eines lokalen und sicheren Internetnetzes für die Bevölkerung“, erklärt Januschke.
Wie werden die einzelnen Projekte angegangen? „Partizipation und Kommunikation! Wir greifen bewusst in die Prozesse der Stadt ein. Wenn wir beispielsweise einen Straßenzug im Zentrum aufwerten möchten, starten wir mit ausgedehnten Gesprächen mit Anrainern und Wirtschaftstreibenden und arbeiten gemeinsame Ziele aus. Zusammen mit den engagierten Bürgern gründen wir dann einen Verein, der das Projekt umsetzt, auch nach seiner Vollendung weiterträgt und mit Leben und Aktionen erfüllt“, schildert Januschke den erprobten Schlachtplan. „Unsere Dörfer müssen echte Orte bleiben, nicht nur eine urbane Kulisse.“

Genussladen 24/7

Beim anschließenden Stadtrundgang wurde zuerst eines der jüngsten Projekte, der Genussladen 24/7 besichtigt. „Dabei handelt es sich um ein Automatengeschäft, das heimische Produkte rund um die Uhr zugänglich macht“, erörtert Oskar Januschke. „Nach einer Umfrage unter den Marktbesuchern wurde klar, dass die junge Generation beim Bauernmarkt fehlt – nicht aus mangelndem Interesse, sondern aus zeitlichen Gründen.“ Deshalb spricht das immer zugängliche Geschäft, das die Lienzer nun seit vier Monaten mit lokalen und selbst gemachten Milch- und Fleischprodukten, Obst und Teigwaren versorgt, eine ganz neue Altersklasse an. „Bezahlt wird per Bancomat. Besonders junge Erwachsene besuchen den Laden zwischen 15 und 21 Uhr. Der Schwund liegt bei unter drei Prozent“, unterstreicht er. Zudem gibt es auch ein „Click und Collect“-Fach für Betriebe aus der Innenstadt.

Einkaufen zum Erlebnis machen

Nach einer Stärkung im Dolomitenhotel besichtigte die Delegation die Schnapsbrennerei Schwarzer. „Wir wissen, dass wir Handel aufgrund anhaltender Trends im Kaufverhalten in den Zentren verlieren werden. Deshalb müssen wir auch andere Arten von Betrieben, die Einkaufen zum Erlebnis machen – wie beispielsweise Manufakturen und Handwerksbetriebe – oder eben eine Schnapsbrennerei fördern“, führt der Stadtmarketer aus. Besitzer Rudi Schwarzer führte durch seine Brennerei, wo er unter anderem aus Vinschger Marillen Destillate brennt, die nun in der Lufthansa Business Class serviert werden.

Abschließend wurde der neue Bahnhof besichtigt: „Mit zahlreichen Workshops und unermüdlichem Diskutieren mit einem Dutzend Ministern und Beamten in Wien wurde aus einem notwendigen Eingriff für behindertengerechten Zugang um 1,5 Millionen Euro ein 35-Millionen-Euro-Projekt. Dieses verbindet nun Alt- und Neustadt, hat eine Radunterführung und ein zusätzliches Gleis für Radtouristen aus Bruneck sowie den ersten Supermarkt in die Innenstadt seit über 10 Jahren zurückgebracht hat“, fasst Januschke das über sieben Jahre betreute Projekt zusammen.

Südtirols erste Akademie für Orts- und Stadtentwicklung bildete im vergangenen Frühling 41 Gemeindeverwalter und Touristiker zu den Themen der nachhaltigen Entwicklung und des Standortmarketings aus. Eine zweite Ausgabe der Akademie ist für den Frühling 2023 geplant.
 
 
 
 
 
 
 
 
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